zum Menü zum Textanfang
zum Menü

Mein Weg in die Taubblindheit – Ein Erfahrungsbericht in verkürzter Form

Von
Bernhard Buch, geboren 1943
Wohnhaft in Breuberg/Hessen

Schon in frühester Kindheit wurde bei mir eine Schwerhörigkeit festgestellt.
Unbemerkt, weil langsam und schleichend, dürfte auch die rp ihren Anfang genommen haben.
In der Schule, im Alter von 12 Jahren, trug ich zum ersten Mal, wenn auch nur sporadisch, ein Hörgerät in Westentaschenformat, mit Schnurr und Knopf im Ohr.
Hänselei, Beschimpfung und Diskriminierung waren an der Tagesordnung; aber möglicherweise auch der Grund für meinen sportlichen Ehrgeiz, besser zu sein als die Anderen.
Immerhin war ich Jahresbester in Turnen und in der Leichtathletik, hatte aber bei den Ballspielen und beim Training mit zunehmender Dunkelheit meine Probleme.
Verantwortlich dafür ist wohl die zunehmende Nachtblindheit und Gesichtsfeldeinschränkung zu machen.
Beides sind typische Merkmale und Vorboten einer sich verstärkenden rp!
Das zentrale Sehvermögen hingegen war noch einigermaßen intakt, so dass ich von den Lippen ablesen konnte und damit den vorhandenen Hörverlust etwas kompensieren konnte.

In den Jahren der Pubertät verschlechterte sich die Sehkraft und das Hörvermögen rapide und im Gleichschritt.
Die sportliche Karriere war beendet und die berufliche Tätigkeit als Bäcker und Konditor stand auf der Kippe, so dass ich 1965, mit 22 Jahren, an der Goethe Universität in Frankfurt vorstellig werden mußte.
Nach zahlreichen und intensiven Untersuchungen erwähnte und bescheinigte man mir zum ersten Mal das Usher-Syndrom.
Mir wurde eindringlich empfohlen per Umschulung den Beruf zu wechseln. Ich erlernte die Blindenschrift, worauf eine Ausbildung zum staatlich anerkannten Masseur und medizinischen Bademeister mit Staatsexamen folgte.

Wegen Eitelkeit bei der Brautschau kam das Hörgerät nur hin und wider zum Einsatz, war aber spätestens zu diesem Zeitpunkt mein dauerhafter Begleiter.

Seit der Notwendigkeit ständig ein Hörgerät tragen zu müssen, habe ich aufmerksam und intensiv jede Neuerung und technische Weiterentwicklung der Hörhilfen verfolgt.
In diesen Jahren gab es für mich nie einen Grund zur Beanstandung und stets wurden die Hörgeräte optimal und zu meiner Zufriedenheit eingestellt, was sich aber in letzter Zeit, mit der Entwicklung der digitalen Hörgeräte, geändert hat.
Besonders für blinde Menschen ist ein gut eingestelltes Hörgerät von größter Wichtigkeit.
Ich kann nur raten, sich sehr genau zu überlegen und gut zu informieren, welchen Hörakustiker man wählt.

Trotz meiner grundsätzlich positiven Lebenseinstellung habe ich mir in letzter Zeit große Sorgen um die Zukunft gemacht.
Die Erblindung beträgt inzwischen 100% und der Hörverlust befindet sich mit 90% an der Taubheitsgrenze.
Was ist, wenn es sich in meinem Fall tatsächlich um das Usher-Syndrom handelt und ich am Ende auch völlig taub sein werde?
Blind und taub, eine schreckliche Horrorvision, deprimierend und sehr beängstigend für mich.

Glückliche Umstände und glühende Telefondrähte verschafften mir letztenendes den Zugang zur Audiologie an der Charitè Berlin CVK.
Leiter ist Herr Professor Dr. med. Groß.
Ich nahm an einer Usher Studie und an einer interdisziplinären Usher Sprechstunde teil.
Man informierte mich, dass der Nachweis eines Usher-Syndroms per Bluttest, Monate in Anspruch nehmen würde und die rp mit der Diagnose Erblindung Fakt und bleibend sei.
Aber man teilte mir auch mit, dass ich aufgrund der Untersuchungsergebnisse durchaus ein geeigneter Kandidat für ein Cochlea Implantat sei.
Meine Erleichterung war riesengroß, bedeutet es doch, dass eine völlige Taubheit mit großer Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann.
Man zeigte und erklärte mir die Funktion eines Cochlea Implantats, so dass ich spontan beschloß, mir ein solches Implantat am Klinikum Berlin anpassen zu lassen.
Doch nach einem Gespräch mit einem Vorstandsmitglied des Cochlea Verbandes Rhein/Main habe ich davon Abstand genommen.
Ausschlaggebend dafür war der Hinweis, dass nach der OP eine mehrtägige Aktivierung des Implantats unbedingt notwendig ist.
Damit war Berlin außen vor.
Der chirurgische Eingriff wurde in der Nähe meines Wohnortes an der Goethe Universität in Frankfurt vorgenommen.
Es zeigte sich, dass das Personal in der HNO Abteilung und in der Audiologie im Umgang mit zusätzlich erblindeten Menschen einige Schwächen offenbarte.
Ertaubte und blinde Menschen hat man eben nicht alle Tage.
Dennoch zolle ich dem medizinischen Personal Lob und Dank, für die Organisation, Behandlung und Betreuung.
Zu guter Letzt kommt das Wichtigste.
An dieser Stelle muß ich mich bei meiner Frau Ilke sehr herzlich bedanken.
Ohne ihre Begleitung und Hilfe wäre das Abenteuer rund um das Cochlea Implantat, von Berlin bis Frankfurt, für mich allein nicht zu bewältigen gewesen.

Breuberg, Oktober 2013, Bernhard Buch

zurück zum Textanfang zum Menü zur Startseite

© Heike Herrmann-Hofstetter 2007 - 2024